Wildpferd von Sable Island Julie Marshall/shutterstock.com

Sable Island: Die Insel der Pferde

Weit draußen vor der Küste von Nova Scotia liegt die kleine Insel Sable Island. Die schmale Sandbank gilt als einer der größten Schiffsfriedhöfe im Nordatlantik, gehört zu den neuesten Nationalparks in Kanada und ist die Heimat einer einzigartigen Herde von Wildpferden.

Von Jörg Michel

Eine geheimnisvolle Insel

Irgendwo hier im Dunst muss die Insel liegen: verhüllt in Gischt und Nebel, übersät mit Strandgut, gepeitscht von meterhohen Wellen. Bevölkert von mystischen Kreaturen, deren struppige Mähnen im böigen Wind wirbeln wie die Strandgräser im Sturm.

Sabel Island Boot
Jörg Michel

Wir streifen uns Trockenanzüge über, springen in ein Zodiac-Schlauchboot und pflügen mit diesem durch die Wellen. Nach ein paar Minuten erkennen wir erste Konturen der Insel. Wie eine schmale Sichel aus Sand liegt sie vor uns, fast, als hätte jemand einen Teil der Sahara ins Meer geschüttet.

 

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Ein Dock gibt es auf der Insel nicht, also bleibt uns nur der flache Strand. Als wir das Ufer erreichen, steigen kreischende Seevögel auf und lassen sich vom Wind in die Ferne tragen. Darauf schreckt eine Kegelrobbe aus ihrem Dämmerschlaf und springt ins Meer. Außerdem kreisen Möwen über den turmhohen Dünen.

kleine Kegelseerobe auf Sable Island
Julie Marshall/shutterstock.com

 

eine turbolöse anreise

Wir sind auf 43,55 Grad nördlicher Breite und 59,54 Grad westlicher Länge angekommen, irgendwo mitten im Atlantik, etwa 20 Minuten von unserem Mutterschiff entfernt. »Willkommen auf Sable Island«, begrüßt uns ein Parkwächter in grünen Regenhosen und Uniform während er  uns mit einem beherzten Ruck aus den Booten hilft. »Schön, dass Sie heil angekommen sind.«

Denn das ist nicht selbstverständlich. Sable Island ist ein gottverlassener Ort. Die kleine Insel liegt etwa 160 Kilometer vom Festland oder eine Tagesreise von Halifax entfernt, ist 45 Kilometer lang und nur eineinhalb Kilometer breit. Deshalb kommt man entweder mit einem Charterflugzeug oder einem Expeditionsschiff hier hin.

Karte von Sable Island
sevenMaps7/shutterstock.com

Wir sind an Bord der »MV Akademik Ioffe« gekommen, einem russischen Forschungsschiff, das jeden Frühsommer für den Expeditionsanbieter »One Ocean« durch die sturmgepeitschten Gewässer des Atlantiks kreuzt und dabei auch Sable Island ansteuert.

 

Ein seltenes Erlebnis

Die Insel ist seit 2013 ein Nationalpark, einer der wahrscheinlich entlegensten in Kanada. Für Parkwächter in den grünen Regenhosen muss unser Besuch einer der Höhepunkt des Jahres sein. Sonst hat er nur eine Handvoll Beamte, Forscher und Meteorologen auf der Insel als Nachbarn. Denn Besucher sieht er weniger als der Gipfel des Mount Everest in normalen Jahren.

Sabel Island Strand
Jörg Michel

Mittlerweile haben wir uns am Fuße einer 30 Meter hohen Wanderdüne versammelt. Vor uns liegt eine Tageswanderung durch eine wilde, von Wind und Stürmen geschaffene Dünenlandschaft, unter der Häuser und Leuchttürme begraben liegen und die ebenfalls zur Heimat einer ganz eigenen Spezies geworden ist.

Mit ausladenden Schritten geht es querfeldein durch den butterweichen Sand. Da es auf der Insel keine Wanderwege, Wegweiser oder Besucherzentren gibt. Irgendwo am Strand steht ein zusammenklappbares Plumpsklo mit Vorhang, man weiß ja nie.

Sabel Island Strand
Jörg Michel

eine bedrohliche Gegend

»Sable Island ist für viele Kanadier ein geheimnisvoller Ort«, erklärt uns der Parkwächter, während der Gipfel der Düne näher rückt. Warum das so ist? Das liegt an der einzigartigen Tierwelt und an den vielen Seefahrerschicksalen, die sich um Sable Island ranken.

Die Gewässer rund um die Insel galten über 600 Jahre lang als das maritime Tor zur Neuen Welt. Schließlich nutzten die Franzosen Sable Island im 16. Jahrhundert als Kolonie für Strafgefangene. Des Weiteren schuf die Regierung 1890 hier Kanadas erste Rettungsstation für Schiffbrüchige. Darüber hinaus liefert eine Wetterstation bis heute wichtige Daten für Seefahrer aus aller Welt.

Garrett Parker

Bei Kapitänen war und ist Sable Island gefürchtet. Da hier der kalte Labradorstrom und der warme Golfstrom zusammen treffen, weswegen die Insel ein Drittel des Jahres im dichten Nebel liegt. Dutzende Schiffe sind hier schon gestrandet oder gesunken. Die Gewässer rund um die Insel gelten als einer der größten Schiffsfriedhöfe im Atlantik.

 

einzigartige Vierbeiner

Die wichtigsten Botschafter von Sable Island aber haben vier Beine. Nach einer Stunde Fußmarsch durch den Sand stehen die Wildpferde plötzlich vor uns, mitten in den Dünen zwischen Schwertlilien und Cranberry-Büschen. Als die Kameras klicken und die Smartphones blitzen, blicken sie kurz durch ihre verzwirbelten Mähnen – dann fressen sie einfach weiter.

Die Pferde von Sable Island sind eine Kuriosität der Geschichte: Vor über 200 Jahren hatten durchreisende Siedler ein paar Tiere auf die Insel gebracht und später schlicht versäumt, sie wieder abzuholen. Seitdem haben sie sich kräftig vermehrt. 560 waren es bei der letzten Zählung.

Sabel Island Pferd
Jörg Michel

Die Tiere leben völlig isoliert von der Außenwelt von Dünengräsern und Beeren. Über die Jahrzehnte haben sie sich perfekt an ihre Umgebung angepasst. Ihre Hufen sind robust, ihre Beine kurz und gedrungen, fast wie bei Ponys. Das erleichtert ihnen die Fortbewegung am Strand und auf den Dünen.

 

Tierschutz auf Sable Island

In Kanada ist die Geschichte der Sable-Island-Pferde weithin bekannt – und das hat mit einem Fehltritt der Regierung zu tun. Im letzten Jahrhundert wollten Beamte die Tiere loswerden und schlachten, was zu einem Aufschrei geführt hatte. Wegen der Proteste ließen sie schließlich von den Plänen ab.

Wildpferd von Sable Island vor einem Haus inmitten von Gras und Sand
Julie Marshall/shutterstock.com

Seitdem sind die Pferde sich selbst überlassen und stehen unter Schutz. Außer ein paar Biologen und einiger Handvoll Besuchern bekommen sie nur wenige Menschen je zu Gesicht. In Kanada haben sie eine geradezu mystische Bedeutung und sind der Traum vieler Pferdenarren.

 

Ein warmer nebliger Abschied

Mittlerweile haben unsere Schlauchboote wieder am Mutterschiff angelegt. Draußen auf dem Meer zieht neuer Nebel auf und der Kapitän drängt zum Aufbruch. Ein paar Minuten später schon pflügt das Schiff mit 6.800 Pferdestärken und 13 Knoten wieder durch die meterhohen Wellen des Nordatlantiks.

Im Nebel sieht man die Grundzüge der Insel
Kevin Hou

Von der Reling aus haben wir einen letzten Blick auf die Insel: In der Ferne erkennen wir im Dunst ein paar verschwommene Konturen, hoch oben auf einer Düne stehend. Ihr Mähnen wirbeln im Wind, ihre Hufen scharren. Es ist ein Abschiedsgruß der Pferde von Sable Island.

 

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