Es war der jüngste Zeh, den Terry Lee in seiner Sammlung der abgestorbenen Zehen (!) hatte. »Und es war ein sehr schöner Zeh«, wie er sagt. Doch dann hat ihn jemand mitgehen lassen. Frechheit! Dabei ist doch der Zeh die wichtigste Zutat des weltberühmten Sourtoe-Cocktails.
Wie alles begann
Dawson City im Yukon. Ein kleiner Ort mit nur 1.400 Einwohnern, der sich das halbe Jahr lang unter einer Schneedecke befindet. Hier sind die Menschen hartgesotten, sind Kälte gewohnt und haben ihren ganz eigenen, aber durchaus charmanten Humor entwickelt.
Den Beweis dafür findet man seit über 40 Jahren im Sourdough Saloon im Downtown Hotel. Damals hat ein ehemaliger Barkeeper einen abgestorbenen Zeh samt Nagel in einem Einmachglas gefunden und hatte die verrückte Idee, diesen in einen Tumbler zu legen, ihn mit einem kräftigen Schluck Whisky aufzufüllen und ihn dann als Cocktail für wilde Kerle anzubieten. Mit Erfolg.
willkommen im Zeh-Club
Wer nach Dawson reist, der muss in der Bar vorbeischauen und sich den Zeh im Cocktail zumindest ansehen. Nur wer mit den Lippen den verschrumpelten Zeh berührt, wird Mitglied im Club der Mutigen -inklusive Zertifikat (warum eigentlich nicht „ZEHtifikat“?).
Nur zwei Stunden täglich wird der Drink ausgeschenkt – das macht das Ganze noch mehr zu einem echten Event. Bei einem Gast am Samstag, den 17. Juni jedoch wollte Terry Lee mal eine Ausnahme machen. Er bekam außer der Reihe diesen Cocktail, der prima ins Dschungelcamp passen würde. Doch die Zeh-remonie ist dem Mann wohl so sehr zu Kopf gestiegen, dass er das Stückchen Fußfleisch einsackte.
Wer will einen Zeh spenden?
Genau dieser Zeh, so erzählt Terry Lee, war eine Spende eines Mannes, der ihn amputiert bekommen hatte. Sechs Monate wurde das Körperteil in Salz eingelegt, um es cocktailfit zu machen. Das ärgert ihn besonders. Er hat zwar noch Ersatzzehen im Schränkchen, aber keiner ist so schön wie dieser. Ersatzzehen?
Ja genau. Denn so ein Zeh ist durchaus beliebt, und der eine oder andere Langfinger hat sich daran schon vergriffen – oder aber verschluckt. Beispielsweise hat ein Minenarbeiter mal die Regel »Lippen berühren« zu deutlich genommen und den Zeh verschluckt. Ob er auch draufgebissen hat, ist nicht überliefert. Aber Terry Lee hat gleich eine höhere Gebühr erhoben, die sich nun auf 2.500 kanadische Dollar beläuft, wenn man sich den Zeh einverleibt.
Auch die deutsche Sportlerin Susi Erdmann, ehemalige Rennrodlerin und Bobfahrerin, hat sich getraut und gehört nun zum Club der Sourtoe-Trinker. Wahrscheinlich kann sie mehr vertragen als der gemeine Dieb, den der Cocktail ja anscheinend aus der Bahn geworfen hat.
Schlechtes Gewissen sei dank
Aber nur vorübergehend. Denn nun ist er wieder da, der saure Zeh. Der Dieb hat ihn zurück geschickt – samt Entschuldigungsschreiben. Vielleicht möchte er aber auch nur seine Urkunde haben, die er im Saloon samt Namen vergessen hatte. Die ist ja auch viel ansehnlicher ist als ein abgetrennter brauner Schrumpelzeh samt Nagel.