Victoria: Auf eine königliche Tasse Tee

Nirgendwo in Kanada wird der britische Afternoon Tea so erhaben gepflegt wie im traditionsreichen Empress Hotel am Inner Harbour von Victoria. Von Jörg Michel

An einem Nachmittag im Jahre 1840 knurrte der Dutchess of Bedford auf einmal der Magen. Bis zum Abendessen waren noch ein paar Stunden Zeit. Was nun? Da kam Bedord, einer Hofdame Queen Victorias, eine Idee. Sie ließ sie sich eine Tasse Tee und Sandwiches servieren. Das tat ihr so gut, dass sie fortan auch ihre besten Freundinnen regelmäßig zum nachmittäglichen Tee einlud.

Es war die Geburtsstunde des britischen Afternoon Tea, so jedenfalls berichten es die Überlieferungen. Denn Bedfords Teestunde war bei den feinen Ladys so populär, dass sich die bis dato unbekannte Gepflogenheit bis nach London und später im ganzen Königreich und in den britischen Kolonien ausbreitete. Die englische Teatime ist seitdem weltbekannt und wird auch heute noch in vielen Ländern kultiviert. Auch in Kanada.

Tea-Time hat im empress Tradition

Besonders gilt das für das Fairmont Empress Hotel in Victoria. Das denkmalgeschütze Eisenbahnhotel, das vom britischen Architekten Francis Rattenbury entworfen und 1908 am Inner Harbour von Victoria eröffnet wurde, pflegt die britische Tee-Kultur wie kaum ein anderes Hotel in Kanada. Darjeeling, Earl Grey oder Assam gefällig? Dazu vier verschiedene Sorten Zucker und kultivierte Snacks mit englischem Flair?

Die wunderschöne Lobby Lounge im ersten Stock des Empress ist an diesem Nachmittag voll besetzt. Kellner eilen geschmeidig von Tisch zu Tisch, das Geschirr klappert, die Gäste unterhalten sich in gedämpften Stimmen. Ich sitze an einem Tisch am Fenster zwischen klassischen Säulen und grünen Topfpalmen und genieße den Blick auf den Hafen, die Boote und die Wasserflugzeuge, die hier alle paar Minuten aufsetzen.

Teebeutel? Natürlich nicht!

 »Welche Sorte darf ich Ihnen bringen«, fragt mich ein Ober und reicht mir eine Karte, die einem kleinen Holzkabinett gleicht. Darin hat es 21 verschiedenen Sorten Teeblätter. Welche nur soll ich wählen? Am Ende entscheide ich mich für einen Wuyi Rock Oolong, einen halbfermentierten Tee aus dem chinesischen Fujian. Der Ober sagt, dieser Tee sei besonders fein und er hat Recht. Er schmeckt samtig, geschmeidig, einfach klassisch.

Serviert bekomme ich den Tee mit Stil, in feinem englischen Porzellan, dessen Design das Empress 1939 eigens zum Besuch von König George VI. in Victoria aus England importiert hatte. Heute hat das Hotel das royale Porzellan exklusiv für seinen Afternoon Tea erworben. Wie königlich ist das! Auch ein Gläschen Champagner bekomme ich zum Auftakt eingeschenkt, besser kann´s einem nun wirklich nicht gehen!

Kulinarische Verführungen

Für die Köstlichkeiten aus der Küche sorgt AJ Thalakkat. Der Chef-Konditor des Empress erzählt mir, dass er regemäßig um die halbeWelt reist, um seinen Gästen die besten Zutaten zu besorgen. Ob Kakaobohnen aus Indonesien, Vanille aus Madagaskar oder Ahornsirup aus den Wälder Québecs: AJ zaubert daraus traditionelle Tee-Sandwiches und zauberhafte Desserts, die er mir auf einer dreistöckigen Etagere serviert.

 »In der Regel servieren wir 450 Teegedecke am Tag«, erzählt AJ, während er mir die Teller auf den Tisch stellt. Schon läuft mir das Wasser im Mund zusammen. Heute gibt es Scones mit Erdbeer-Lavendel-Marmelade, Mango-Pudding mit Passionsfruchtcreme und Fruchttörtchen mit Wildbeeren-Püree. Dazu vier Sandwiches: mit Hühnchen, mit Lachs, mit Gurke und mit Shrimps. Wer könnte da schon Nein sagen?

Die Krönung: Schokoladentorte

Besonders stolz ist AJ auf seine Schokoladentorte, dem Höhepunkt des Nachmittagstees im Empress. Gebacken hat er sie mit selbst gemischter Schokolade, feiner Haselnusscreme und Cassis. Als Verzierung gibt´s eine goldene Schokokrone obendrauf, die einer tatsächlichen Krone von Königin Elizabeth II. nachempfunden wurde.

Das süße Schmuckstück hat seinen Grund: Denn nach zwei Jahren Renovierung erstrahlt das Empress dieser Tage pünktlich zum 150. Geburtstags Kanadas in neuem Glanz – und AJ´s Schokokreation ist so etwas wie die Festtagstorte. Unter dem Motto »The Return of the Queen«feiert das Empress dieses Jahr nicht nur seinen Tee, sondern auch seine neue Lobby, den atemberaubenden Kronleuchter, die 464 modernisierten Zimmer und das Restaurant und die Bar Q, die mit Pop-Art-Portraits von Queen Victoria geschmückt sind.

Herzlichen Glückwunsch, kann man da nur sagen. Die Dutchess of Bedford wäre ganz schön stolz auf euch!

 

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