Die Kulisse ist speziell, hier in der letzten Reihe der Tribüne. Fulminant und unvergesslich. Sitzen einem doch Tausend Countrymusikfans mit Cowboyhüten zu Füßen, während ihre Cowboyboots schellend und stampfend den Takt des Eröffnungskonzerts unterstützen. Die Stimmung ist ausgelassen. Wieso auch nicht, schließlich ist die Calgary Stampede die Party des Jahres, oder wie sie sich selbst bescheiden nennt »The Greatest Outdoor Show on Earth«.
Und tatsächlich, jeder jungfräuliche Stampede-Besucher wird dem Western-Zirkus mit staunenden Augen und offenem Mund begegnen. Dann ist es Zeit, die mannigfaltigen Eindrücke auf sich wirken zu lassen.
Der Jahrmarkt der Sinne
Hinhocken und sammeln, eine derartige Mischung wird das Leben einem wohl nie wieder bescheren. Zuerst wabern Gerüche von Heu, Männerschweiß und Frittierfett vorbei. Danach fallen die geschmückten, teils rosé-glitzernden, Cowgirlboots ins Auge. Diese wiederum bilden einen starken Kontrast zu den handgenähten Fellschuhen der Stoney Nakoda. Die Männer in ihrem farbenfrohen Schmuck sind auf dem Weg, wo sieben Familien aus fünf indigenen Gruppen ihre Tipis aufgeschlagen haben. Von dort kommen auch die Trommeln und die Gesänge. Es ist der Soundtrack wie zu einem Western. Dazu wiehern die Pferde aus dem Stall, die aufgeregt auf ihren großen Moment warten. Die schmatzenden Cowboys, die ihre Nervosität an einem Kaugummi auslassen, spazieren vorbei und die Ohs und Ahs aus den Besucherreihen der Arena, wo gerade die berühmten Chuckwaggons ihre Runden drehen, erinnern daran, dass dies auch ein sportliches Event ist.
Aus der Ferne ertönt natürlich auch Countrymusik, aus den Festzelten am Jahrmarkt. Live versteht sich. Denn wer häufig in Nordamerika unterwegs ist weiß, dass sich dort selten ein Musiker auf die Bühne stellt, der sein Handwerk nicht versteht.
Aufregung beim Rodeo
Doch die wahren Helden der Stampede sind nicht die Musiker, sondern die Bullenreiter. Diejenigen, die ihre Angst nur heimlich zeigen und sich stattdessen mutig auf einen aggressiv schnaubenden Bullen setzen. Die Königsdisziplin im Rodeo. Während der Besucher bei Corndog und Cola genüsslich dem Spektakel zuschaut, quetschen sich die lebensmüden Rodeoreiter innerhalb des Gatters auf das muskulöse Tier. Welcher Reiter auf welchem Tier reiten muss, wird gelost. Nur eins steht fest: Acht Sekunden lang muss sich der Reiter auf dem Bullenrücken halten, um eine Chance auf den Sieg zu haben. Hinzu kommen Haltungsnoten wie beim Eiskunstlauf.
Denn der Bullenreiter hat nur eine Hand um ein Seil,um sich auf dem Tier zu halten. Die andere Hand wedelt nutzlos in der Luft. Der Cowboyhut sitzt tief im Gesicht und der aufwirbelnde Sand verzerrt so manchem Zuschauer die Sicht. Dem Sieger winkt ein lächerliches Preisgeld, verglichen mit der Gefahr, in der er sich bringt.
Kuriose Begleiterscheinungen
Nach dieser Aufregung kommt eine Stärkung gerade recht. Gut, dass zahlreiche Imbissbuden, heute Food-Trucks genannt, die insgesamt 1,2 Millionen Besucher mit allerlei Köstlichkeiten und Kuriosem versorgen. Insbesondere die Fritteuse kommt mit Lebensmitteln in Kontakt, von denen man nicht mal wusste, dass man sie frittieren kann. Beispiel gefällig? Da wird Coca-Cola, Kaffee oder Käsekuchen im »deep fried«-Teigmantel serviert.
Aber das ist nicht das einzig Einzigartige. Während der Stampede werden Tausende von Pfannkuchen gebacken und kostenlos an die Besucher verteilt, an vielen Locations in Calgary. Eine Tradition, die einst zu einem guten Zweck begann und mittlerweile von Firmen, Organisationen oder Privatpersonen durchgeführt wird.
Eine weitere Tradition ist die Parade, mit der die Stampede eröffnet wird. Aber Achtung, dazu ist Sitzfleisch von Nöten. Denn die Plätze in der ersten Reihe werden sich meist schon einen Abend vorher mit Campingstuhl und Schlafsack gesichert, um am folgenden Tag den 4.000 Paradeteilnehmern, 700 Pferden und einem Bullen beim Marschieren zuzusehen.
Und spätestens bei der Parade wird dem Besucher klar, warum die Calgary Stampede »The Greatest Outdoor Show on Earth« heißt.