Blick auf einem Zugfenster auf Zugschienen CTC

Über ratternde Schienen

Die Weiten Ontarios, die Prärien Kanadas, die Rockies, dann der Pazifik: Im transkontinentalen Zug »Canadian« von Toronto nach Vancouver erleben wir das Land in seiner ganzen Vielfalt. Text: Jörg Michel

Bitte einsteigen in den Canadian

In Toronto bricht die Nacht herein. Die rote Antenne des CN Towers reckt sich in den Abendhimmel, die Bahnhofsuhr in der Union Station zeigt kurz vor zehn. Wir eilen mit unseren Koffern über den glatten Marmorboden zum Gleis, wo für uns eine der berühmtesten Bahnfahrten der Welt beginnt: An Bord des Canadian werden wir mit dem Zug den nordamerikanischen Kontinent durchqueren. Von Toronto bis nach Vancouver, 4.600 Kilometer durch fünf Provinzen und vier Zeitzonen.

Die zwei blaugelben Lokomotiven der Bahngesellschaft Via Rail werfen ihre Dieselmotoren an. Das Horn pfeift, die Räder quietschen. Mit etwa 6.000 Pferdestärken bewegt sich der Canadian aus der City. Eine Weile noch erkenne ich in der Ferne die Skyline von Toronto, dann verliert sich der Zug langsam im Dunkel der Nacht.

Pärchen sitzt im Canadian und unternimmt eine Zugreise durch Kanada
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Der Weg ist das Ziel

An Bord befinden sich Gäste aus der ganzen Welt. Viele Eisenbahn-Fans sind dabei, Rentner, Studenten, auch Outdoor-Fans, die sich später mitten in der Wildnis für eine Campingtour absetzen lassen. Uns allen geht es bei dieser Reise nicht um Geschwindigkeit, denn der Zug bewegt sich in eher gemächlichem Tempo. Nicht das Ankommen, sondern der Weg ist unser Ziel.

Es ist eine Reise wie zu Glanzzeiten der nordamerikanischen Eisenbahn: Die Wagen sind im Art-Deco-Design der fünfziger Jahre gehalten. Im eleganten Restaurantwagen sind die Tische mit Geschirr aus Porzellan gedeckt. Die Park-Waggons haben riesige Panoramafenster und Salons für den Plausch mit den Mitreisenden. Ein Aussichtswagen mit Glasdach bietet einen unverstellten Blick.

Am Morgen zieht Kaffeeduft durch die Waggons. Wir haben den Norden Ontarios erreicht und überqueren den kanadischen Schild: Wir sehen tiefe Nadelwälder, Moore und Sümpfe. Den ganzen Tag über zieht eine schier unendliche Kette größerer und kleinerer Seen an uns vorbei. Nur gelegentlich taucht eine Blockhütte auf oder eine kleine Siedlung der First Nations. Ab und zu huscht ein Reh oder Elch ins Unterholz.

Essen serviert im Canadian, einem Zug der durch Kanada reist
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Dreimal am Tag bereiten die Köche frische Köstlichkeiten zu. Mittags und abends halten sie im Speisewaggon vier Gerichte zur Auswahl bereit. Kulinarisch gestärkt, passieren wir Winnipeg, in der Mitte des Kontinents. Nun ziehen schier endloses Prärien vorüber. Der Himmel ist tiefblau, der Horizont weit. Auf riesigen Weizenfeldern liegen Strohballen, bunte Getreidespeicher leuchten in der Sonne. Auf Koppeln grasen Pferde und Rinder. In der Nacht passiert der Zug Saskatoon, frühmorgens die glitzernden Bürotürme von Edmonton.

Der Höhepunkt

Dann der Höhepunkt: Aus dem Morgennebel tauchen in der Ferne die Rocky Mountains auf. Wie eine Wand bauen sich die schneebedeckten Dreitausender vor uns auf. Am Athabasca-Fluß und dem langgezogenen Jasper-See entlang geht es in die Bergwelt Kanadas: kristallklare Seen, in denen sich die Waggons spiegeln, gleißende Gletscher, tosende Wasserfälle und hin und wieder ein Bär.

Panorama-Fenster mit Blick auf kanadische Landschaft
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Im Bergdorf Jasper steigen einige Gäste aus, um die Nationalparks von Jasper und Banff auf eigene Faust zu erkunden. Für uns aber geht es weiter zur letzten Etappe und unsere Gesichter kleben ein letztes Mal am Zugfenster: Jenseits des Yellowhead Pass baut sich der Mount Robson auf, der mit 3.954 Metern höchste Berg der kanadischen Rockies. Die »Oh’s« und »Ah’s« sind nicht zu überhören.

Am Morgen gibt es noch einmal ein frisches Käseomelett mit Müsli. Dann tauchen am Fenster immer mehr Straßen, Autos, Einkaufszentren, Tankstellen und Häuser auf. Um kurz vor zehn erreichen wir pünktlich den Bahnhof von Vancouver. Nach drei Tagen und elf Stunden Fahrt verlassen wir unsere Waggons. Draußen ist die Luft frisch und salzig. Der Pazifik ist ganz nah, ein neuer Tag ist angebrochen.

Ankunft in Vancouver
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Info

Zwischen Mai und Oktober bedient der »Canadian« dreimal die Woche die transkontinentale Strecke. Die Reise beginnt um 22 Uhr in der Union Station in Toronto, los geht es jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag. Die planmäßige Ankunft in Vancouver ist um 9.42 Uhr dreieinhalb Tage später. Im Winter fährt der Zug nur zweimal die Woche, am Dienstag und Samstag.

Wer nicht die ganze Strecke fahren will kann auch Teilbereiche buchen. Besonders attraktiv ist der Streckenabschnitt von Edmonton bis Vancouver, auf dem der Zug die Rocky Mountains überquert. Abfahrt in Edmonton ist um 7.37 Uhr morgens und zwar jeden Dienstag, Donnerstag und Sonntag.

Via Rail bietet verschiedene Buchungsklassen an: Die Kabinen in der ersten Klasse Sleeper Touring sind nicht groß, aber behaglich. Tagsüber stehen darin bequeme Sessel, die nachts ausklappbaren Betten weichen. Die Schlafabteile sind für eine bis vier Personen ausgerichtet und haben eine separate Nasszelle und Toilette. Luxus verspricht die neue Prestige Class mit Schlafquartieren im Boutique-Hotel-Stil. Beide Klassen beinhalten drei Mahlzeiten am Tag im Speisewagen. Die zweite Klasse Economy ähnelt den Großraumwagen europäischer Züge, ein kleines Bistro bietet Snacks an.

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