Vancouver Chinatown Jennifer Latuperisa-Andresen

Yin und Yang in Vancouver

Die Pazifikmetropole ist Heimat der größten Chinatown in Kanada. Ein kultureller und kulinarischer Streifzug durch das chinesische Viertel lohnt sich. 

Von Jörg Michel

 

Es ist ein quirliger Morgen in Downtown Vancouver: Geschäftsleute eilen aus den U-Bahn-Schächten der »Canada Line« und verschwinden in den Bürotürmen im Finanzdistrikt. Ein Krankenwagen braust durch die Lower East Side. Ein Bautrupp reißt am Canada Place mit einem Presslufthammer den Bürgersteig auf.

Eine Oase in der Grossstadt

Nur ein paar Schritte weiter liegt dagegen eine Oase der Ruhe: Ich sitze in einem Pavillon im Hof des Dr. Sun Yat-Sen Classical Chinese Garden an der Carrall Street und schlürfe eine Tasse Jasmin-Tee. Hier lausche ich lediglich dem sanften Plätschern des Wassers im Seerosenteich. Ein paar Libellen surren durch die Luft, im Hintergrund läuft klassische chinesische Musik. In diesem Garten kommt meine gestresste Großstadtseele zur Ruhe.

Dan Breckwoldt/Shutterstock.com

»Dieser Ort ist ein Meisterwerk chinesischer Kunst, Gartenbaukunst, Architektur und Philosophie«, schwärmt Robert Sung, ein Sino-Kanadier der dritten Generation, der mich an diesem Tag durch Vancouvers Chinatown führt. Seine vierstündigen Stadtrundgänge A Wok around Chinatown sind super populär. Denn in Vancouver boomt die chinesische Kultur. Aus keinem anderen Land kommen so viele Zuwanderer in die Stadt. Das chinesische Stadtviertel zwischen Gastown, Lower East Side und Bankenviertel gilt als das größte seiner Art in Kanada, auch wenn die rund 450.000 chinesisch-stämmigen Kanadier über die ganze Stadt verstreut leben.

Der chinesische Garten Dr. Sun Yat-Sen gilt vielen Chinesen in Vancouver dabei als eine Art spirituelles Zentrum. Die idyllische Anlage mit ihren holzvertäfelten Wandelgängen, Teichen und Pavillons ist in der Tradition der Ming-Dynastie aus dem 14. Jahrhundert angelegt und war die erste ihrer Art außerhalb Chinas. Alles ist hier nach dem Feng-Shui-System ausgerichtet, damit die Menschen möglichst viel positive Energie bekommen.

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»Jedes architektonische Detail hat eine Bedeutung«, erzählt Robert voller Stolz. Die sich ergänzenden Kräfte Yin und Yang etwa sind in der Anlage ausgewogen repräsentiert durch eine Kombination von rauen und weichen, von vertikalen und horizontalen Elementen. Auch die Auswahl der Bäume ist kein Zufall: Der Bambus im Innenhof steht für Flexibilität der Menschen, die Kiefer für Stärke, die Pflaume für Erneuerung.

Jennifer Latuperisa-Andresen

Der Garten ist der Auftakt und Höhepunkt von Roberts kultureller und kulinarischer Tour durch Vancouvers Chinatown. Hier habe ich noch ein paar weitere Highlights für Euch aufgelistet:

 

Sam Kee Building (8 West Pender Street)

Das Gebäude von 1913 ist so etwas wie das Herz von Chinatown. Bemerkenswert ist es wegen seiner Bauweise. Denn es ist nur 1,80 Meter breit und gilt laut Guinness-Buch als schmalstes Gebäude in Kanada. Heute ist eine Versicherung dort untergebracht und nachts wird es mit bunten Lichtern hübsch angestrahlt.

Newtown Bakery (148 East Pender Street)

Diese chinesische Bäckerei ist ein Muss! Ich bin ein Fan des weichen Tapioka-Kuchens mit seiner süßlichen Kruste aus Karamell. Der traditionelle Apfel-Kuchen soll noch genauso schmecken wie zu den Zeiten der ersten chinesischen Einwanderer in Kanadas, denn das Rezept ist über 70 Jahre alt. Nicht zu verachten sind auch die gedünsteten Hefebrötchen mit Hähnchen- oder Schweinefleisch.

CTC

Guo Hua Kräuterladen (512 Main Street)

Ob Ginsengwurzel, getrocknete Shrimp, Shitake-Pilze oder frittierte Schwimmblasen: In diesem Laden gibt es nichts, was es nicht gibt fürs allgemeine Wohlbefinden und gegen die großen und kleinen Wehwehchen des Alltags. Gemixt werden die Brühen und Pulver frisch in einem Hinterzimmer. Die getrockneten Geckos sehen zwar ziemlich furchteinflößend aus, sollen aber bei Asthma und Rückenschmerzen helfen.

 

Wing Sang Building (51 East Pender Street)

Das älteste Gebäude in Chinatown wurde 1889 für den Geschäftsmann Yip Sang gebaut. Der verdiente sein Geld, indem er billige Arbeiter aus China nach Kanada brachte, die beim Bau der kanadischen Eisenbahn mithalfen. Heute ist in dem Gebäude die Rennie Art Gallery für Moderne Kunst untergebracht. Mein Lieblingsobjekt ist die Leuchtfassade des Briten Martin Creed: »Everything is going to be alright«.

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The Chinese Tea Shop (101 East Pender Street)

Im kleinen Laden von Daniel Liu ist zum Abschluss eine chinesische Teeprobe angesagt. Dabei geht es ganz traditionell zu. Erst übergießt Liu fünf Gramm Tee mit kochendem Wasser, um die Blätter zu reinigen. Dann wird ein erster und danach zweiter Aufguss aufbereitet und in Tontassen serviert. Schlürfen ist erlaubt – ja sogar gewünscht. Ich habe den Gu Shu probiert, einen Schwarztee aus der Provinz Yunnan. Köstlich!

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