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Ab in die Abgeschiedenheit Labradors

Das Frachtschiff Northern Ranger ist eine wichtige Lebensader für die Inuit von Labrador. Für Besucher ist die Fahrt eine einmalige Gelegenheit, einige der abgeschiedensten Küstendörfer Kanadas zu entdecken. 

Von Jörg Michel

Es ist eine abenteuerliche Nacht an Bord des »Northern Ranger«. Stockdunkel ist es da draußen, der Nebel ist dicht, die Wolken hängen tief, die See ist rau. Und dann die vielen Eisberge. Man kann sie kaum noch zählen: Mindestens 200 der frostigen Kolosse zögen gerade an der Küste von Labrador vorbei, erklärt der Kapitän auf unserer Schiffsreise in den hohen Norden. Doch er hat die Sache im Griff.

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Eis – zwischen Schönheit und Gefahr

Dann auf einmal eine Schrecksekunde. Der Frachter rammt eine kleine Eisscholle. An Bord kracht es, fast wie bei einem Autounfall. Das Metall scheppert, in unseren Kabinen zittern die Wände und wir halten uns sicherheitshalber an der Reling fest. Doch alles halb so wild. Der Rumpf des »Northern Ranger« ist durch dicke Stahlplatten verstärkt! Dieses Hindernis nehmen wir doch mit links!

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Es wird nicht die einzige Erschütterung bleiben auf unserer Fährfahrt von Goose Bay nach Nain, hoch in den arktischen Norden von Labrador. Über fünfzig Stunden sind wir mit dem Northern Ranger unterwegs, einem Fracht- und Fährschiff, das bis zu 131 Passagiere transportieren kann. Es ist eine Art Mini-Kreuzfahrt für den kleinen Geldbeutel durch eine der abgelegensten Regionen in Kanada.

Mini-Kreuzfahrt in den hohen Norden 

Meine Kabine mit der Nummer 205 ist einfach und gemütlich mit einem Stockbett und einer kleinen Nasszelle. In der Cafeteria an Bord gibt es vor allem eines: Fritten und Poutine. Das Passagierdeck teile ich mir mit Rucksacktouristen, Abenteurern, Aussteigern und vielen Einheimischen. Camper brutzeln sich mit einem Gaskocher das Essen, Jugendliche spielen Verstecken, Mütter versuchen, ihre Kinder im Zaum zu halten.

»Travel like a local«– das ist auf dem Northern Ranger das Motto.

Für die Ureinwohner ist der Frachter im Sommer eine wichtige Lebensader. Einmal die Woche bedient das Schiff einsame Küstensiedlungen, die man sonst nur mit einer Propellermaschine erreicht. Die ein- bis zweistündigen Stopps dort sind die perfekte Gelegenheit, mit Einheimischen zu plaudern und die Kultur der Inuit kennenzulernen.

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Authentischer geht’s nun wirklich nicht! Welche Zwischenstopps man auf keinen Fall versäumen sollte:

Rigolet

Die südlichste Inuit-Gemeinde der Welt liegt am Eingang des Hamilton-Inlet fünf Stunden von Goose Bay entfernt. 300 Menschen leben hier. Im historischen Handelsposten der Hudson Bay am Hafen besuche ich einen kleinen Kunsthandwerksladen. Es gibt Schnitzwerk, selbst genähte Puppen, bestickte Lederhandschuhe. Der längste Holzbohlenweg der Welt ist acht Kilometer lang und führt an der zerklüfteten Küste entlang.

Makkovik

Knapp zwölf Stunden später erreichen wir Makkovik, eine wohlhabende Fischersiedlung. Ein kurzer Stadtspaziergang am Strand führt zu einer liebevoll gepflegten Missionskirche aus Holz. Ein paar Schritte weiter können wir in einem kleinen Museum Alltagsgegenstände der Inuit bestaunen. Mein Highlight: die Ulus, traditionelle Wiegemesser, mit denen die Inuit Robben- und Walfleisch schneiden.

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Hopedale

Nach weiteren neun Stunden wartet in Hopedale David mit einem Schlüssel. Der Hausmeister bringt mich zur alten Missionsstation der Moravians. Die weißen Holzgebäude gehören zu den ältesten in Kanada. 1782 waren die protestantischen Glaubensbrüder aus Europa hierhergekommen, um die bis dahin nomadisch lebenden Inuit sesshaft zu machen. In der Missionskirche findet man noch Gesangsbücher in altdeutscher Schrift.

Nain

Nach nochmal 16 Stunden dann der nördlichste Hafen, den der Frachter ansteuert. Mit 1.100 Bewohnern ist Nain die größte Siedlung der Region. Nach zwei Tagen karger Landschaft ist es hier erstaunlich grün. Eine kleine Tour führt auf einen Felsen hoch über den Ort. Von hier habe ich einen wunderbaren Blick auf die Tafelberge und Fjorde der Region. Zu sehen gibt es auch ein verfallenes Schulhaus und ein windschiefes Kirchlein.

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