Stundenlang habe ich im Auto gesessen und zigmal dem Impuls widerstanden, genau an diesem einen Ort zu bleiben, weil ich ihn für den hübschesten Platz der Welt gehalten habe. Die kanadische Provinz Neufundland Labrador ist eine Wucht. Text: Jennifer Latuperisa-Andresen
Melancholische Musik summt in meinem Kopfhörer, während mein Blick über die kleine Bucht fällt, die gerade im Sonnenschein badet. Ich mag das Gefühl, dass ein Lied eine Situation untermalt. Es ist ein wenig so, als würde das Gehirn diese Erinnerung dann mit mehr Wichtigkeit versehen. Es ist ein selbst kreierter Zauber. Eine künstlich herbeigerufene Stimmung. Aber schön.
Zu Beginn: Weltnaturerbe Gros Morne
Die Berge des Gros-Morne-Nationalpark liegen vor mir wie ein Gemälde. So anmutend in ihren Rundungen. So zart in ihrer Farbe. Als würden meine Augen nur noch Pastelltöne sehen. Ich schalte den Soundtrack zum Moment ab und lasse die Ruhe und die Weite auf mich wirken. Nicht einmal der Wind rauscht. Es ist still. Und ich starre minutenlang schnurstracks geradeaus. So, als wäre mein Blick fest verhaftet auf die kleine Bucht namens Bonne Bay, die mich an meinem ersten Morgen in Neufundland begrüßt.
Wenn ich jetzt erwähne, dass eine Wal-Familie just in diesem Moment durch diese Bucht schwimmt, als wäre es mein ganz persönliches Empfangskomitee, dann mag das perfekt ins Bild passen und mein Panorama verschönern, aber du glaubst mir kein Wort. Du denkst, ich übertreibe maßlos, weil ich mich mit dem Florapanorama allein nicht zufrieden gebe. Pustekuchen. Ich erfinde nichts. Auch nicht die Minkwal-Familie, die durch mein Bild taucht und mir mit ihren Flossen signalisiert, dass auch sie anwesend sind.
Die Reise zu den Schönheiten einer Provinz, die so nah an Europa ist, aber dennoch in der Wahrnehmung so fern, kann beginnen. Neufundland und Labrador (diese zwei gehören zu einer Provinz), das klingt für dich sicher nach dicken Parkas und Pudelmützen, nach endlosem Eis und Hunden. Stimmt alles, aber zum größten Teil eben nicht.
Heute, hier im Gros-Morne-Nationalpark, bin ich weit entfernt von einer Daunenjacke. Um ehrlich zu sein, ist es mir im T-Shirt schon zu heiß. Es sind 25 Grad im Schatten – aber dort, wo ich stehe und gehe, ist kein Schatten. Ich spaziere nämlich über die Tablelands.
Die Erde upside down – irgendwie
Du hast unrecht, wenn du aufgrund des Namens annimmst, diese Region ist flach. Nur die Hügel um mich herum sind es. Diese sehen nämlich aus, als hätte jemand sie plattgeklopft. Die Tablelands sind schlichtweg baumlos. Rote Erde, rote Steine und Geröll, so weit das Auge reicht. Es erinnert mich ein wenig an das australische Outback. Doch die Tablelands sind keine Wüste. Es ist eine Region, wo man auf der Erdkruste spaziert. Ja, richtig gelesen. Ich stehe unverblümt auf der Kruste unseres Planeten, weil die Natur verrückt ist und sich an dieser Stelle dazu entschlossen hat, sich nach außen zu stülpen.
Bestimmt nicht grundlos – aber sei mir nicht böse, wenn ich den Vorgang nicht wirklich begriffen habe. Ich weiß nur, dass hier kaum etwas wächst und gedeiht, aber dass diese Mondlandschaft dennoch wunderschön ist und ein wenig magisch in der Sonne glitzert.
Mehr magische Landschaft …
Ich muss weiter. Das Licht hat seinen eigenen Zeitplan und möchte mir nicht endlos die Landschaft erleuchten, die ich erkunden und fotografieren möchte. Also nicht verzetteln, nicht überall halten. So lautet die Devise, und ich muss mich zügeln, nicht ständig zu stoppen, um mich an diesem Anblick zu erfreuen, wie die Straße sich schlängelt und nichts als Natur zu sehen ist.
Doch ich habe Glück, mein nächster Stopp liegt nur ein paar Kilometer und gefühlte zehn Kurven entfernt. Unterschiedlicher jedoch könnte die Natur nicht sein. Vorhin glitzerte die Erde noch in allen erdenklichen Rottönen. Nun steht meterhohes Schilf in einer Moorlandschaft. Mein Ziel liegt am Ende eines endlos scheinenden Holzstegs, der durch die morastige Landschaft führt. Es ist ein See und gleichzeitig ein Fjord. Wie geht das, fragst du dich? Begründete Frage.
Der Western Brook Pond wurde durch die Anhebung der Küste sozusagen vom Meer abgeschnitten. Geblieben ist ein 16 Kilometer langer und bis zu 165 Meter tiefer Fjord, der umgeben ist von einem beeindruckenden Bergmassiv. Ab und an plätschert ein Wasserfall bildschön hinab Richtung Ausflugsboot, das tatsächlich gut besucht ist von Touristen.
Der Kapitän erzählt, dass die beiden Boote in Einzelteilen mit dem Helikopter zum Fjord geflogen werden mussten, weil es keine Möglichkeit gibt, sie über den Landweg durch das Moor zu transportieren. Die Pissing Mare Falls (kein Kommentar zu der kreativen Namensfindung) befinden sich am Wendepunkt des Bootes und sind die zweithöchsten Wasserfälle Kanadas.
Das Wasser ist so klar und ruhig, dass sich die dicht bewachsenen Berge darin spiegeln. Melancholische Musik ertönt wieder aus meinem Kopfhörer und versucht, das Gebrüll des Kapitäns zu übertönen.
The hours soften, the heavens open,
singt Luke Sital-Singh, während wir langsam zurückfahren. Es ist umwerfend hübsch. So hübsch, dass ich ewig an dieser Reling verweilen könnte. Kein Wunder, dass der Gros-Morne-Nationalpark zu den Unesco-Weltnaturerben zählt.
Deswegen bin ich hier, habe ich mir doch vorgenommen, die Unsesco-Weltkultur- und -Naturerben in dieser Provinz zu besuchen. Doch in meinem deutschen Kleingeist habe ich die Distanzen ganz schön unterschätzt, und so hocke ich an meinem zweiten Tag auf dem Weg nach Labrador stundenlang am Steuer. Kurve für Kurve kämpfe ich – nein, weder mit Müdigkeit noch mit Langeweile –, sondern mit dem Impuls, anzuhalten, um beispielsweise den Leuchtturm von Lobster Cove an der rauen Küste samt kreischenden Möwen ausgiebig zu fotografieren.
Mit der Fähre nach Labrador
Ich muss die Fähre bekommen. Die Fähre nach Labrador. Der Teil der Provinz, der noch weniger Zivilisation hat als Neufundland. Der Weg will nicht enden. Die eh kaum befahrenen Straßen werden leerer.
Es fühlt sich an, als gäbe es nur noch mich, die Musik und den wütenden Himmel, der sich zu einem grauen Dach formiert hat, um mich dann durch eine dichte Regenwand fahren zu lassen. Ich konnte vorher kaum glauben, dass die Welt bei Regen trister sein kann als in einer Hochhaussiedlung im Norden Kölns. Doch sie kann. In St. Barbe, Neufundland, wo vereinzelte Häuschen in der grauen Suppe des Wetters wie verloren dastehen und umgeben sind von Lastwagen, die hier auf die Fähre warten, die sie nach Labrador führt.
Während ich mich auf der Fähre MV Apollo bewege, um die Überfahrt von fast zwei Stunden in einem gemütlichen Sessel zu verbringen, wird mir klar, dass man das Ende der Welt nicht immer romantisieren kann. Abgeschiedenheit ist nicht gleichzustellen mit Schönheit.
Denn auch wenn die Fähre durch die Strait of Belle Isle gleitet – das brauche ich nicht wirklich zu übersetzen, oder? –, ist das Ansehnliche für mich in diesem Moment nicht offensichtlich. Die See ist unruhig, das Schiff schaukelt ganz schön, und ich sorge mich, dass es in zwei Teile bricht, denn der Kahn hatte seine Glanzzeiten wohl eher Anfang der 1960er-Jahre.
Nun ist es ein Stück Rost mit Motor, der mit 85 Automobilen an Bord gen Labrador schippert.
Was habe ich von Labrador erwartet?
… das wie eine Baskenmütze auf dem Kopf von Quebec sitzt, wenn man es auf der Landkarte betrachtet, und das bei Weitem nicht der nördlichste Punkt Kanadas ist? Ich weiß es nicht genau. Wahrscheinlich eine Schatzkiste der Natur. Aber die Fantasie muss der Realität weichen, zumindest in Blanc Sablon (das gehört noch zu Quebec). Doch auch beim Überqueren der Provinzgrenze zu Labrador ist keine Schönheit in Sicht. Noch nicht.
Nachdem ich den tristen Part der Provinz hinter mir gelassen habe, untermalt von der heulenden Musik (ich hatte kurz überlegt, alte Partyhits der 70er-Jahre aufzulegen, um mir bei Motown-Hits die Laune zu versüßen), begrüßt mich am nächsten Tag eine Landschaft, die ich mir erträumt habe. Die Sonne lacht, am Wegesrand wird es grün, und es wird Zeit, langsam nach Eisbergen Ausschau zu halten. Wie bitte?, fragst du dich jetzt. Ja, dazu später mehr.
Mir genügt es nicht mehr, mir den Zauber der einsamen Landschaft durch die Windschutzscheibe anzuschauen. Ich will halten, ich will laufen, ich will, dass der Wind meine Haare verwirbelt. Ich laufe über eine Holzbrücke, die über den Pinware River führt. Ein Fluss, der wild über die in ihm befindlichen Steine hüpft. Ich sehe, wie ein paar Männer rechts und links am Ufer ihr Glück beim Fischen versuchen. Der Wind pfeift ganz schön, während ich mich mutig auf die Brücke lege, um das Panorama zu fotografieren, das mein Herz erfüllt.
Wieso? Das kann ich nicht genau sagen. Vielleicht ist es so, dass ich als Stadtkind aus dem Ruhrgebiet tatsächlich feuchte Augen bekomme, wenn ich mich an der unberührten Weite der Natur erfreuen kann. Vielleicht ist es auch die Dankbarkeit über die Möglichkeit, genau diese Momente erleben zu dürfen und just in diesem Moment an einer Stelle zu stehen, die nur wenige Menschen zu Gesicht bekommen, weil es sie nicht hierher führt. Schade eigentlich.
Die Geschichte eines Walfangörtchens
Nach dem kleinen Spaziergang mache ich mich auf den Weg, um Red Bay zu erreichen, den ersten Unesco-Weltkulturerbe-Stopp auf meiner Liste. Im 16. und 17. Jahrhundert war der Fischerort im Süden Labradors Walfangzentrum. Aber nicht, wie du es vielleicht vermuten würdest, für die hiesige Bevölkerung, sondern für die Basken, die mit ihren Walfangschiffen die lange Reise aus den Gebieten Südfrankreichs oder Nordspaniens auf sich nahmen, um in der eisfreien Zeit hier Grönland- oder Glattwale zu jagen. Red Bay hatte zu dieser Zeit den weltweiten Ruf, die Welthauptstadt des Walfangs zu sein. In der heutigen Gesellschaft ist der Wal heilig. Ein Symbol für den Artenschutz, für die Klimaerwärmung, für mehr ökologisches Bewusstsein.
Dementsprechend ist Red Bay ein Unesco-Weltkulturerbe, das sich touristisch schwer an den Mann bringen lässt, auch weil es kaum etwas zu sehen gibt, außer dem Schiffswrack eines kanadischen Trawlers, der auf der vorgelagerten Insel Saddle Island, die nur ein paar Meter von der Küste von Red Bay entfernt liegt, 1966 gestrandet ist und der keinen Bezug zum Walfang oder den Basken hat. Immerhin hat man aber dadurch das Schiffswrack der baskischen San Juan gefunden – ein Meilenstein für die Historiker.
Sie fanden es ebenfalls vor Saddle Islands, haben das Wrack aber nie geborgen, sondern es am Meeresgrund belassen, nachdem man es für wissenschaftliche Zwecke untersuchte. Über die Erkenntnisse, die man daraus gewann, sowie über die Geschichte des Walfangortes konnte ich einiges in den Museen erfahren und eine kleine Tour buchen. Als der Walfang in Red Bay zum Erliegen kam, lag der Ort einsam und verlassen an einer der malerischsten Küsten Labradors, bis er später von kanadischen Fischern besiedelt wurde.
Der Name Red Bay stammt übrigens nicht – auch wenn du das jetzt denken magst – von der Tatsache, dass sich das Wasser aufgrund des Blutverlustes der Wale rot färbte. Der Name wurde aufgrund der roten Schindeln ausgesucht, mit denen die baskischen Häuser gedeckt waren und deren Bruch sich nun überall an den Buchten wie Kies befindet.
Ansonsten ist Red Bay ein Ort, der malerisch liegt, als hätten die Basken mit einem ästhetischen Auge die Küste Labradors abgefahren, um sich genau hier niederzulassen, wo das Land hügelig ist und in verschiedenen Grünschattierungen daliegt.
Aber das Tollste, ja, das Tollste sind die Eisberge, die hier vorbeischwimmen. Mal mit bizarren Formen, hoch und ausgeprägt, mal wie flache, abgelutschte Bonbons. Sie schimmern hellblau oder auch grün – je nach Licht – und sind wie magische Botschafter aus dem ewigen Eis. Dessen sichtbare Oberfläche nur ein kleiner Teil des Ganzen ist. Sie brechen in Grönland aus dem Gletscher und werden dann hierher getrieben. Ein gigantisches Naturschauspiel.
Eisberg vorraus!
Noch näher ran an die eisigen Kolosse kommt man, wenn man sich auf den Weg nach Battle Harbour macht. Bevor ich jedoch von einem Boot aus die Eisberge bewundern kann, muss ich mit meinem Auto noch über die nicht asphaltierte Straße hüpfen. Spätestens jetzt ist Schluss mit meiner automobilen Meditation inmitten einer Landschaft, die mir immer wieder ein kindlich geprägtes »Boah« entlockt. Ich versuche, durch vorsichtiges Fahren möglichst einen Steinschlag zu verhindern, merke aber auch, dass mir das Offroad-Fahren großen Spaß macht.
Ist es doch ein Teil der echten Wildnis, keine Laterne, keinen Mittelstreifen und keine Leitplanke mehr zu haben. Und auch keine geteerten Straßen. Rechts und links von mir liegt wahlweise das Meer, gespickt von leuchtenden Eisbergen, oder eine Hügellandschaft, deren Kuppen sich spitz oder rund zeigen. Würde man den Blick aus meinem Auto so drucken, in seiner Farbgewalt und Wildheit, würde man mir zuraunzen, ich hätte an den Photoshop-Reglern gedreht. Doch, die Landschaft Labradors ist tatsächlich pure Angeberei. Abwechslungsreich, zerfurcht und doch lebendig.
Geparkt wird in Mary’s Harbour, einer kleine Fischergemeinde etwa zwei Stunden von Red Bay entfernt. Das Auto muss hier warten, denn weiter geht es mit der Iceberg Hunter. Dies ist das Boot, welches mich zu meinem nächsten Ziel bringt: der Insel Battle Harbour.
Der Name des Kahns ist Programm, denn wir gleiten tatsächlich an den eiskalten Giganten vorbei, die wie abgebrochene Riesenzähne im Meer liegen. Und während wir die Eisberge umkreisen, die sich vor einem dramatischen Himmel platziert haben, werden wir, was jetzt wieder unglaublich ist, von Walen begleitet, die ab und zu mal auftauchen und ihre Flossen zeigen. Das ist schon ein ergreifender Moment. Ein unvergessliches Erlebnis.
Abends sitze ich in der kleinen Bar im Battle Harbour Inn und lausche der landestypischen Musik. Einer Mischung aus Folk- und Kirchengesang. Glockenklar gesungen, mit Texten, die von der rauen See und der Einsamkeit innerhalb der Natur und dem Fischfang handeln.
Fisch ist das zentrale Thema für Battle Harbour, denn hier befand sich einst eine Art Großmarkt für Hering, Lachs, Robbe und Kabeljau. Hierhin brachten die Fischer ihre Ware, dann wurde sie verarbeitet und weiterverkauft. Dementsprechend war Battle Harbour, welches nur ein kleines Eiland vor der Küste Ostlabradors ist – das du sicherlich in etwas über einer Stunde zu Fuß umrundet hättest, wenn du gemütlich gehst – eine florierende Gemeinde.
Hunderte von Schiffen ankerten hier, um Handel zu betreiben. Und die ansässigen Familien hatten ihre eigene Kirche und wohnten in niedlichen, kleinen weiß getünchten Holzhäuschen. Ihre Kinder spielten an den Hängen der Küste und an den leuchtenden Steinstränden, immer mit dem Wissen, dass das Wasser zu kalt ist, um darin zu baden.
Zum Baden zu kalt, zum Verlassen zu schön
Auch dieser Gedanke bewegt mich: da hat man ein Häuschen am Meer in erster Reihe am Strand, und Schwimmen ist unmöglich – oder zumindest nicht zu empfehlen. Das ist so, als würde in der Küche der Backofen fehlen. Als die Fischkrise kam, die insbesondere für die Neufundländer ein wichtiges Thema ist – das ich hier aber nicht erläutern kann, das würde definitiv den Rahmen sprengen –, konnte die Bevölkerung von Battle Harbour nicht mehr von den Geschäften leben. Die Vorratsspeicher blieben leer – und die Mägen der Menschen dort auch. Also siedelten sie samt ihrer Häusern um.
Du liest richtig: In Kanada packt man sein Häuschen schon mal auf ein Schiff und stellt es an einem anderen Ort einfach auf. Viele kamen im Sommer wieder und betrachteten die Insel als ihr Sommerexil. Dann kam die Idee, die verbliebenen Gebäude zu restaurieren und daraus ein Resort zu machen und es als Historical Site anzumelden. Der Antrag bei der Unesco, um Battle Harbour als Weltkulturerbe zu registrieren, läuft. Mit Recht. Aber viel wichtiger ist, dass diesem Ort ein Zauber innewohnt, den ich so noch nirgendwo erlebt habe.
Es ist die Mischung aus den liebevollen, detailverliebten Unterkünften, die sich durchaus auf Luxusniveau bewegen, und dem dort gepflegten und gelebten Alltag. Beispielsweise essen alle Gäste in einer Art Kantine das jeweilige Tagesessen, das von einer Dame gezaubert wird, die auf dieser Insel aufgewachsen ist. Und es mundet köstlich. Ich bin zwar etwas unruhig, weil es mich nach draußen treibt, um den Robben beim Spielen zuzuschauen. Ich will das Hiersein genießen. Und als es dunkel wird, die Lichter langsam in den Häusern brennen und es Zeit wird, zum musikalischen Abend zu wandern, bin ich komplett ergriffen von diesem Ort.
Der Abschied ist nicht für immer, da bin ich mir fast sicher. Battle Harbour möchte ich meinem Mann zeigen. Eine Woche mit ihm über die Wiesen spazieren, auf Felsen sitzen, um die Meeresluft einzuatmen und das Leben abseits der Hektik zu spüren. Den Eisbergen beim Gleiten zuzusehen und eventuell den einen oder anderen Wal zu beobachten. Das würde ich mir wünschen. Ich habe die Bilder praktisch schon im Kopf, während ich über die huppelige Straße wieder gen Fähre düse.
Zurück nach Nordneufundland
Mein nächstes Ziel ist im Norden Neufundlands. Und bis dahin hat mich erst einmal die Straße wieder. Die Straße und die Musik. Zum Glück habe ich die Strecke schon gesehen, und so kann ich wenigstens das Bedürfnis unterdrücken, an jeder Kurve einmal aus dem Wagen zu hüpfen, um ein Bild zu machen.
Ich konzentriere mich auf die endlos scheinenden Straße. Ich will dir nichts vormachen. Das Gefahre ist ein Gegurke. Denn wir reden auch von Strecken, die keine Katzensprünge sind, sondern viele Kilometer, die auch Ausdauer brauchen. Es gibt keine Raststätten, an denen man sich mal eben schnell eine Bockwurst holen kann und guter Kaffee – ja, du ahnst es schon – der ist in Nordamerika eh rar gesät. Aber das letzte Ziel ist es wert, doch noch einen kleinen Schlenker zu fahren.
L’Anse aux Meadows heißt mein Stopp. Es liegt im Nordosten Neufundlands und wurde um das Jahr 1000 kurze Zeit von den Wikingern besiedelt, die wahrscheinlich kamen, weil Neufundland damals dank des besseren Wetters noch reicher an Vegetation war, und dort auch wilder Wein wuchs, den man gerne erntete. Erst in den 1960er-Jahren hat man die einstige Siedlung, bestehend aus elf Häusern und einer Schmiede, entdeckt und ausgegraben.
Heute ist es eine Unesco-Weltkulturerbestätte, die insbesondere durch die Nachbauten und die schauspielernden Wikinger eine Touristenattraktion ist. Ich stehe inmitten des hohen Grases und fühle mich plötzlich so klein, die Menschen um einen herum werden geradezu von den Grasflächen verschluckt, ab und an sieht man einen Schopf in der Ferne vorbeilaufen. Ich wandere durch die Kulturstätte und starre auf die Landschaft, die sich in Postkartenidylle vor meine Augen platziert hat. Schluchten, kleine Rinnsale, ab und an mal ein Steinbrocken.
Ich schalte die Musik an, stelle mich auf eine kleine Holzbrücke und gucke gen Meer. Es ist eine Art Zen-Zustand. Eine Art Ahnung, dass dieses Stückchen Erde etwas Besonderes ist. Weil die Natur so prall ist, weil die Bäume irgendwie grüner schimmern und das Meer so ungestüm sein kann.
Alles ist wilder. Alles ist reiner. Ich stehe also auf der Holzbrücke und höre, wie man mir ins Ohr säuselt:
Like a flower all alone in a field of weeds, you don’t need to change, you just need to be, the way you were made, is just for me, you’re beautiful, cause you break the rules of beautiful.
Ich finde, der Sänger Jacob Whitesides hat mit jedem Wort recht. Komm und sieh selbst.