Von den schönen Iles de la Madeleine in Québec haben wir Euch bereits in der Geschichte „Inseln für die Sinne“ erzählt. Dabei waren wir selbst so verzaubert, dass wir die interessanteste Insel des Archipels vergessen haben: … Entry Island.
Von Ole Helmhausen
Doch das ist verständlich. Entry Island liegt nämlich ziemlich abseits. Während die bezaubernden, durch Sanddünen miteinander verbundenen sechs Schwestern – Havre-Aubert, Cap-aux-Meules, Havre-aux-Maisons, Ile-aux-Loups, Grosse-Ile und Grande-Entrée – alle Aufmerksamkeit auf sich ziehen, sieht man das nur 7 Quadratkilometer große Inselchen jenseits der Baie de Plaisance nur mühsam über den Horizont ragen.
Dorthin gehts mit der täglich verkehrenden M/V Ivan Quinn von Cap-aux-Meules aus. Das bullige Schiffchen hat Platz für drei, vier Autos und transportiert ansonsten, ganz und gar profan, von Windeln und Werkzeug bis zu Dauerlutschern und Hundefutter alles, was für den Alltag in der Isolation so nötig ist. Überhaupt ist Entry eine Anomalie.
Nicht nur, dass man jenseits aller Verkehrswege an einer dünnen Leine hängt und kaum touristische Infrastruktur hat. Während der übrige Archipel von rund 13.000 französischsprachigen Madelinots bewohnt wird, hält hier seit dem frühen 19. Jahrhundert eine kleine, heute kaum mehr als 100 Seelen zählende, englischsprachige Gemeinde aus.
Lummerland auf kanadisch
Ich bin also gehörig gespannt. Nach einer guten Stunde auf kabbeliger See kommen die roten und grauen Klippen von Entry in Sicht. Die Klippen sind hoch und steil, ihre Farbtöne ändern sich mit dem Spiel der Wolken. Obendrauf liegt eine Decke aus sattgrünen Wiesen, die die baumlosen Hügel bedeckt und schon von weitem so schön aussieht, dass ich sofort darauf wandern und die Aussicht genießen will.
Dass hier Menschen leben, verraten zunächst nur ein paar Kühe. Und dann, als die MV Ivan Quinn durch den schmalen Hafenkanal stampft und schlingert, zwei, drei Dutzend bunte Häuser, ein Leuchtturm und eine kleine Kirche. Im kleinen Hafenbecken, das kaum größer ist als das öffentliche Schwimmbad daheim, dreht der Käpt´n die Fähre gekonnt auf der Stelle, dann wird angelegt. Und dann ist Begrüßung. Die Hälfte der Insulaner ist da, um den „Rummel“ zu genießen.
Die beste Farbtherapie überhaupt
Die Menschen sind meist schottischer Herkunft – und richtig nette Leute. Am leichtesten trifft man sie – Hamburger, Cheeseburger, Fritten und dünner Kaffee – in dem einfachen Diner am Hafen, im kleinen Museum oben am Hang oder im Laden gleich daneben.
Ich will jedoch hoch hinaus. Die Hälfte der Insel ist der Kühe wegen eingezäunt, doch die nette Dame hinter der Theke zeigt mir den Weg zum Trail, der über den Zaun führt. Und dann geht´s los. Tatsächlich sind die runden grünen Hügel der Hauptgrund für den Abstecher nach Entry. Sie zu erwandern, ist Genuss pur. Der Höchste von ihnen heißt bezeichnenderweise Big Hill und ist 174 m hoch. Der Trail führt in Serpentinen hinauf, die 360-Grad-Aussicht ist spektakulär und legt mir nicht nur die ganze Insel, sondern auch noch den gesamten Archipel der „Maggies“ zu Füßen.
Danach marschiere ich einfach der Nase lang. Querbeet, denn Wege gibt es keine mehr, sondern nur ein paar Pfade, die von den Kühen stammen. Das Gras ist weich, ich gehe wie auf Wolken und genieße die Farben und mein Glück, das alles an diesem Sommertag ganz für mich allein zu haben. Und zwischen den grünen Hügeln lugt immer wieder der blaue Atlantik hervor. Geht´s noch besser? Ich schiebe die Hände in die Hosentaschen und pfeif´ mir eins. Ein paar Kühe posieren für Fotos von grünen Weiden, roten Klippen und blauem Himmel. Die Klippen auf der anderen Inselseite sind atemberaubend. Ich fühle mich königlich.
Entry Island als bezaubernd zu beschreiben, würde das Ziel glatt verfehlen.
Info: Die MV Ivan Quinn verkehrt von Montag bis Samstag zweimal täglich zwischen Cap-aux-Meules und Entry Island.
Windguru, die Wettervorhersage für Wind- und Kitesurfer in aller Welt, zählt die Iles de la Madeleine zu den weltweit zehn Orten mit den besten Windverhältnissen. Mehr als 40 Kitesurfingspots gibt es in den flachen Lagunen des Archipel, bei über 300 Kilometer Sandstrand insgesamt.
Doch das ist nur eine von vielen Überraschungen, die auf den ahnungslosen Besucher niederprasseln. Der hätte nämlich hier an der Schwelle zum Nordatlantik eher eine verhangene Waschküche erwartet. Und ein paar karge Felsbrocken mit abgehärteten Überlebenskünstlern darauf. Stattdessen empfangen ihn sechs hügelige, sattgrüne Inseln, die sich schamlos aneinander schmiegen wie inzestuöses Geschwister und aus der Luft an die Florida Keys viel weiter südlich erinnern.
Havre-Aubert, Cap-aux-Meules, Havre-aux-Maisons, Ile-aux-Loups, Grosse-Ile und Grande-Entrée heißen die ostkanadischen Beauties. Oder Iles de la Madeleine bzw. Magdalen Islands. Oder auch „Maggies“ bzw. schlicht „les Iles“. Lange, schmale Sandbänke verbinden sie miteinander, und auf ihnen strebt die 85 km lange Route 199 von einem Ende des Archipels zum anderen.
Die Ile d´Entré, die siebte im Bunde, schaut dem sündhaft schönen Treiben von jenseits der Baie de Plaisance zu. Obgleich sie Nova Scotia am nächsten liegen, gehören die Inseln zu Québec. 12.000 Menschen leben hier, die meisten französischsprachige Nachkommen der im 18. Jahrhundert aus New Brunswick und Nova Scotia vertriebenen Akadier, und in drei Gemeinden ein paar Hundert, von Schifffbrüchigen und Walrossjägern abstammende englischsprachige Insulaner.
Mehr über die Insel findet ihr auf meinem Blog.