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Im Land der Buschpiloten

In den entlegenen Teilen Kanadas ist das Wasserflugzeug oftmals das wichtigste Verkehrsmittel – auch für Besucher. Von Jörg Michel

Gerd Mannsperger dreht den Zündschlüssel. Einmal. Zweimal. Dann springt der Motor an. Der Pilot legt noch schnell ein paar Schalter um und steuert dann seine Cessna langsam vom Dock am Ufer des Schwatka Lake bis in die Mitte des Sees. »Gleich starten wir los«, ruft Mannsperger zu uns nach hinten zu und fragt: »Seid ihr auch richtig angeschnallt?« Das sind wir.

Unser Flug-Abenteuer kann beginnen.

Es ist Frühsommer und wir sind unterwegs im Yukon Territory, einer der entlegeneren Regionen in Kanada. Hier im hohen Norden geht nichts ohne Buschpiloten wie Mannsperger. Der gebürtige Schwabe betreibt Alpine Aviation, ein Charterflugunternehmen mit fünf Flugzeugen. Die bringen Abenteurer, Angler, Kanuten oder Wanderer in die Wildnis. Manche Flieger stehen auf Rädern, manche auf Skiern – unseres auf Schwimmern.

Jenny und Jörg vor einem gemeinsamen Flug mit einer alten Beaver.
Geoff Moore

Das ist superpraktisch, denn unser Ziel ist die Tagish Wilderness Lodge, ein einsames Hüttenensemble an einem See ohne Straßenanschluss. Ein Boot oder, in unserem Fall, ein Wasserflugzeug, ist also angesagt und schon legt unser Pilot los: Die Propeller schlagen, der Motor röhrt und das Wasser spritzt auf, als Mannsperger den Fünfsitzer auf dem See beschleunigt. Nach ein paar hundert Metern Anlauf hebt er schließlich ab.

Fensterplatz garantiert

Wir drehen noch eine Runde über dem Städtchen Whitehorse, bevor wir Richtung Süden steuern und ganz in die Wildnis des Yukon eintauchen. Meine Augen kleben am Kabinenfester, als wären sie mit Klebstoff dort angebracht. Unter mir erkenne ich das Flusstal des Yukon River, der im nördlichen British Columbia entspringt und nach 3.200 Kilometern und zahlreichen Schluchten und Stromschnellen in Alaska in das Beringmeer fließt.

Jennifer Latuperisa-Andresen

Die Aussicht ist ein Traum, denn wann bekommt man diese atemberaubende Landschaft schon mal aus niedriger Flughöhe zu sehen? Wir überqueren die schneebedeckten Gipfel des südlichen Yukon mit Seen, Wasserfällen und Flüssen soweit das Auge reicht. Dazwischen nichts als Leere, Einsamkeit und Wildnis. Leichte Fallwinde rütteln an der Cessna, dann nach etwa einer halben Stunde taucht der 100 Kilometer lange Tagish Lake auf.

Vogelfrei

Mannsperger steuert die Maschine steil nach unten auf den See zu, fliegt eine Schleife und fast fühlt es sich an, als würden wir allesamt gleich kopfüber im Wasser landen. Doch kurz vor dem Aufsetzen zieht der Pilot die Schnauze der Cessna leicht nach oben und wir landen sanft und ohne Geholper auf der Wasseroberfläche. Weich wie Butter war diese Landung, definitiv angenehmer als bei meinem letzten Transatlantikjet!

Was für ein toller Flug! Der Yukon ist eines der besten Reviere für Wasserflugzeuge in Kanada. Unbedingt zu empfehlen! Für Kanada-Fans, bei denen der Yukon gerade nicht auf der Reiseroute steht, habe ich noch ein paar andere Wasserflugzeug-Tipps parat:

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Vancouver, British Columbia

Der Seaplane Terminal am Canada Place ist Heimat der weltgrößten Wasserflugzeug-Flotte: Harbour Air betreibt 35 Maschinen und fliegt von Vancouver diverse Ziele im Süden von British Columbia an, darunter Victoria, den Skisportort Whistler, auch meinen Heimatort Ganges auf Salt Spring Island. Die Aussicht auf die Inselwelt und Fjorde der Salish Sea und die Gletscher und Vulkane der Coastal Mountains ist atemberaubend!

Missinipe, Saskatchewan

Im Norden von Saskatchewan gibt es mehr Seen als Menschen. Kein Wunder, dass die Region rund um Missinipe als riesige Spielwiese für Sportangler und Kanuten gilt. Wer die Einsamkeit liebt, heuert am besten die Piloten von Adventure Destinations an und lässt sich zu deren Fischerei-Camps in die Wildnis fliegen. Nirgendwo in Kanada flößen mir die riesigen Dimensionen des Landes so viel Ehrfurcht ein wie bei einem Flug dorthin!

Patrick Fore

Yellowknife, Northwestterritorien

Die größte Siedlung der Nordwestterritorien gilt als Eldorado für Wasserflieger. Grund ist das alle zwei Jahre stattfindende Midnight Sun Fly In Festival, zu dem Dutzende Maschinen aus aller Welt auf dem Großen Sklavensee landen. Sightseeing-Flüge zu den rauen Landschaften des kanadischen Nordens oder zum spektakulären East Arm des Großen Sklavensees bieten die Piloten von Open Water Charters.

Georgian Bay, Ontario

Als die Gletscher über den nordamerikanischen Kontinent kratzten, hinterließen sie spektakuläre Landschaften wie die Georgian Bay. Die Inselwelt am nordöstlichen Ufer des Lake Huron besteht aus rund 30.000 größeren und kleineren Inselchen, manche nicht viel größer als ein Felsbrocken. Die Cessnas von Georgian Bay Airways aus Parry Sound fliegen im Sommer an der wilden und vorzeitlichen Küste entlang. Nicht verpassen!

Jennifer Latuperisa-Andresen

Francois, Neufundland

Nur achtzig Menschen leben in Francois, einer kleinen pittoresken Fischersiedlung an der Südküste von Neufundland. Wer sie besuchen will, kann das Auto stehen lassen, denn eine Straße dorthin gibt es nicht, sondern nur eine kleine Fähre. Aus der Luft kann man Francois und weitere abgeschiedene Outports beim Flightseeing von Clarenville Aviation entdecken. Es sind entlegene Orte, die nur wenige Menschen je zu sehen bekommen!

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