Ob Bären, Elche oder Wölfe – wer Wildnis erleben will, ist in Kanada genau richtig, denn hier könnt ihr Wildtieren so richtig nahekommen. Wir haben uns für Euch umgesehen und noch ein paar Tiere gefunden, die ihr wahrscheinlich nicht auf dem Zettel hattet. Eine Begegnung bleibt jedoch unvergesslich.
Text: Jörg Michel & Jennifer Latuperisa-Andresen
Wir sitzen auf einem Campingstuhl auf einer kleinen Insel vor Vancouver Island und genießen unseren Nachmittagskaffee. Die Sonne steht hoch über dem Horizont und taucht die schneebedeckten Gipfel der Coast Mountains in ein grelles Licht. Nur ein paar Schäfchenwolken ziehen am Himmel, der Wind weht als leichte Brise, in der Luft liegt der Duft von frischem Tang und Salzwasser.
Auf einmal durchdringt ein lautes Zischen die Stille. Tsssssss, tsssssss, tsssssss. Was nur kann das sein? Fast hört es sich an wie eine Dampflokomotive oder das alte Bügeleisen meiner Oma. Dann sehe ich sie: Direkt in Sichtweite haben sich ein paar Wale zum Lunch versammelt. Sie pflügen durchs Wasser, tauchen immer wieder auf und ab – und pusten dabei Luft durch ihre Atemlöcher.
Was für ein Schauspiel! Wir sind im Broughton Archipel, einer Meeresenge zwischen dem nördlichen Vancouver Island und dem Festland mit Dutzenden Inseln und Inselchen. Ich kenne kaum einen besseren Ort in Kanada zum Wale beobachten als diesen hier. Bis zu 200 Wale tummeln sich in den Gewässern im Sommer. Seit 1992 werden sie von einem eigenen Meerespark geschützt.
Wale sind immer ein Highlight. Aber auch sonst könnt ihr in Kanada eine Menge Wildtiere erleben. Passt nur auf, dass ihr den Tieren nicht zu sehr auf die Pelle rückt und informiert euch über das richtige Verhalten, falls euch beim Wandern in der Wildnis einmal ein Bär oder Puma über den Weg läuft …
Hier ein paar Ideen fürs Wildlife-Watching.
Lachse
Plötzlich springt der Lachs mit einem kraftvollen Schwung aus dem Wasser. Er ist nicht alleine, denn Hunderte seiner Artgenossen vollführen dasselbe kraftvolle Schauspiel. Diese faszinierende Naturerscheinung kann man nur im Herbst beobachten, zum Beispiel im Goldstream Provincial Park auf Vancouver Island.
Die Wanderung der Lachse beginnt dort normalerweise Ende Oktober und dauert bis Ende November an. Während dieser Zeit kehren die Fische vom Pazifischen Ozean zurück zu dem Ort ihrer Geburt – über mehrere Fjorde und den Goldstream River – um eben am Ort ihrer Entstehung widerzukehren, dort ihre Eier abzulegen und anschließend zu sterben.
Die weiblichen Fische suchen sich ein Kiesbett in flachen Gewässern möglichst nahe an ihrem Geburtsort aus. Dort bauen sie unter Wasser mithilfe ihrer kräftigen Schwanzflossen eine nestartige Struktur während die männlichen Fische um ihre Gunst kämpfen. Nur die stärksten Männchen schaffen es ins Nest der Weibchen vorzudringen.
Besucher können dieses ritualisierte Verhalten entlang des Flusses von Spazierwegen oder Aussichtsplattformen aus beobachten. Es kommt häufig vor, dass die Lachse mit ganzer Kraft aus dem Wasser springen müssen um Hindernisse wie Dämme oder Äste zu überwinden.
Drei der sechs pazifischen Lachsarten – Chum-, Coho-und Chinook-Lachs- kommen im Goldstream River vor. Wildhüter dokumentieren täglich in einem kleinen Besucherzentrum die Anzahl der zurückkehrenden Lachse.
Ach ja, und wir Menschen sind nicht die einzigen Wesen, die die Lachse bei ihrer Reise flußaufwärts beobachten.
Weißkopfseeadler
Kaum etwas ist beeindruckender, als einen Adler beim Sturzflug ins Wasser zu beobachten. Die mächtigen Krallen des Greifsvogels schnappen nach toten oder geschwächten Lachsen und mit ihren scharfen Schnäbeln bedienen sie sich an den Kadavern, die im Herbst das Ufer des Flusses säumen. Zwischen November und Februar versammeln sich in Brackendale, einer Gemeinde zwischen Vancouver und dem Wintersportort Whistler am Squamish River, bis zu 4.000 Weißkopfseeadler zum Schlemmen von leckeren Lachsen.
Jedes Jahr wandern die Fische im Herbst zu den Mündungen des Squamish River und Mamquam River, um dort abzulaichen. Nach diesem Prozess sind sie so erschöpft, dass es für die Adler ein leichtes Spiel ist sich zu bedienen. Das beeindruckende Festmahl kann besonders gut entlang eines Spazierwegs auf dem Deich beobachtet werden – eine perfekte Gelegenheit für einen Tagesausflug von Vancouver aus.
Auf einem Beobachtungsstand informieren Naturschützer und Vogelkundler während der Höhepunkte der Adler-Saison über diese faszinierenden Tiere. In der Brackendale Art Gallery können Fans außerdem den aktuellen Stand der jährlichen Zählung verfolgen – denn je nach Qualität der Lachssaison variiert auch die Anzahl dieser Greifvögel von Jahr zu Jahr.
Die meisten Adler lassen sich erfahrungsgemäß rund um Weihnachten sehen – dann herrscht wahre Feststimmung auf dem Deich! Auch in Harrison Mills am Fraser River und auf Haida Gwaii kommen Adler-Fans voll und ganz auf ihre Kosten.
Kermodebären
Sie gehören zu den seltensten Säugetieren Kanadas: Kermodebären, oder auch Geisterbären genannt, sind eine Unterart des Schwarzbären, haben wegen einer Genmutation aber ein weißes Fell. Zu finden sind sie nur auf einigen Inseln im nördlichen British Columbia. Von der Gemeinde Klemtu aus könnt ihr euch mit Guides der Ureinwohner auf die Spur der mystischen Wesen machen!
Büffel
Einst zogen Millionen Büffel durch die Prärien und Wälder Kanadas, heute sind die Tiere in freier Wildbahn selten geworden. Nicht so im Wood Buffalo National Park im Norden von Alberta. Da haben die Büffel immer noch das Sagen. Sie streifen allerorten durch das Unterholz, grasen im Straßengraben und lungern auf Campingplätzen herum. Ein Blick aus dem Autofenster genügt!
Karibus
In einem endlosen Strom ziehen sie gen Norden: unaufhörlich, immer geradeaus, stunden- und tagelang. Die Porcupine-Karibu-Herde besteht aus 170.000 bis 200.000 Tieren und bewohnt die weiten Ebenen des Nordens zwischen Alaska, den Northwest Territories und dem Yukon. Im Herbst und Winter machen sich diese hirschähnlichen Wesen mit ihren struppigen Pelzen und markanten Geweihen auf den Weg vom Eismeer – ihrem Geburtsort für ihre Kälber – in Richtung Süden. Manchmal überqueren sie dabei auch den Dempster Highway, eine abgeschiedene Straße von mehr als 700 Kilometern Länge durch die unberührte Wildnis Kanadas im Norden. Zu dieser Zeit haben Autofahrer das Glück einzelne Tiere am Highway zu sehen – manchmal sogar Hunderte oder Tausende davon. Die nordamerikanischen Rentiere wandern dann durch die Täler der Ogilvie Mountains sowie über Hügel und Bergplateaus hinweg.
Weiter nördlich von Inuvik können Besucher eine kleinere halbwild lebende Zuchtherde bestaunen, bestehend aus 2.500 Rentieren russischer Abstammung . Diese beeindruckenden Geschöpfe gehören privaten Besitzern und werden von Viehhirten bewacht. Im Frühjahr begleiten die Hirten die Tiere auf ihrem Zug von den arktischen Grasebenen ins Mackenzie Delta, wo sie ihre Kälber großziehen. Im Herbst und Winter machen sie sich dann wieder auf den Rückweg. Outfitter bieten Motorschlitten-Touren zu dieser einzigartigen Herde an.
Während des Jamboree-Festivals im Frühjahr in Inuvik werden die Tiere über den Inuvik-Tuktoyaktuk-Highway getrieben – ein gewaltiges Spektakel sowohl für Einheimische als auch für Besucher gleichermaßen.
Kleinere Karibu-Herden leben unter anderem auch auf der Gaspésie-Halbinsel in Québec sowie auf Fogo Island in Neufundland und Labrador.
Wölfe
Zu sehen bekommt man die scheuen Rudeltiere nur selten. Hören aber könnt ihr sie immer wieder. Zum Beispiel, wenn ihr abends im Algonquin Park in Ontario am Lagerfeuer sitzt und in die Stille horcht. In den Sommermonaten könnt ihr unter Anleitung von Parkrangern selbst in die Stille rufen, und wenn ihr Glück habt und ein Rudel in der Nähe ist, dann bekommt ihr sogar eine Antwort. Auch ein schönes Ziel in Ontario, um den Wölfen zu lauschen ist Haliburton.
Eistaucher
Der markante Vogel befindet sich nicht nur auf der kanadischen Ein-Dollar-Münze, sondern bevölkert auch die weiten Seenlandschaften, vor allem im Osten Kanadas. Loon nennt man ihn in Kanada. Er gilt wegen seiner romantisch-melancholischen Rufe als wahrer Klangkünstler. Seine Songs gehören zu einem klassisch-kanadischen Sommerabend dazu wie das BBQ und geröstete Marshmallows.
Papageientaucher
An der Witless Bay in Neufundland könnt ihr die putzigen Flattermänner nicht übersehen. Denn dort leben auf ein paar Felsen im Meer 250.000 Tiere, es ist die größte Puffin-Kolonie Nordamerikas. Auf den geführten Bootstouren von O’Brien könnt ihr die goldigen Vögel beobachten, mit Glück seht ihr unterwegs auch riesige Eisberge und vielleicht sogar Wale. Nicht versäumen!