Auf dem Winterkarneval in Québec zelebrieren die Kanadier jedes Jahr die eiskalte Jahreszeit und zeigen sich von ihrer hartgesottenen Seite.
Von Jörg Michel
Der Morgen in Québec City ist bitterkalt. Es hat minus achtzehn Grad, ein eisiger Wind pfeift durch die Straßen. Feiner Pulverschnee hat sich über die Stadt gelegt und im Sankt-Lorenz-Strom driften dicke Eisschollen flussabwärts. Männer in dichten Neoprenanzügen warten unten am Hafen im Bassin Louise auf das Startsignal. Und schon ertöt die Schiffssirene.
Die Männer rennen los und schieben ihr acht Meter langen Kanus in Richtung Ufer. Als sie das Wasser erreichen, springen sie im vollen Lauf ins Boot und paddeln wie wild. Zweimal geht es jetzt von quer über den Sankt-Lorenz-Strom durch die Eisschollen hindurch ans andere Ufer und zurück. Insgesamt sechs Kilometer. Nichts für schwache Muskeln also.
Canot à Glace heißt das verrückte Rennen, übersetzt: Kanufahren im Eis.
Es ist ein Spektakel für Hartgesottene und der Höhepunkt des Winterkarneval-Festivals, mit dem die Menschen in Québec von Ende Januar bis Mitte Februar die kalten Tage feiern. Mehr als eine Millionen Einheimische und Besucher nehmen jedes Jahr am bunten Treiben teil.
Eiskanu-Fahren ist nicht der einzige sportliche Wettstreit des Festivals: Auch Hundeschlitten-Rennen, Wettbewerbe mit Pferdekutschen oder Eislaufen stehen bei dem 18 Tage dauernden Spektakel auf dem Programm. Vor allem aber haben die Menschen viel Spaß während dieser Zeit und das 400 Jahre alte Stadtzentrum Québecs sprüht voller Lebenslust.
Caribou und Bonhomme
So auch heute. Im bunt geschmückten Quartier Petit Champlain drängen sich Tausende Menschen. Sie sind verpackt in Parkas und trinken Gläser mit Caribou, einem traditionellen Wintergetränk in Québec. Es besteht aus 40 Prozent Alkohol und sorgt dafür, dass einem der Hals nicht gefriert. Für den Drink werden Rotwein, Whiskey und Ahornsirup gemixt.
Zwischen die Besucher gemischt hat sich Bonhomme, das Maskottchen des Festivals. Der Schneemann im plüschig-weißen Kostüm trägt eine Zipfelmütze und hat sich ein ceinture fléchée um den Bauch gewickelt. Das ist ein eng gewebter Wollgürtel, den die Frankokanadier traditionell um ihre Taille wickelten, damit die Kälte nicht in die Hose schlüpft.
Bonhomme trommelt die Leute zum Faschingsumzug zusammen. Zehntausende Schaulustige warten bereits an den Straßenrändern. Manche tragen eine Art Gehstock mit sich – der aber kein Gehstock ist. Denn er hat einen Hohlraum und ist gefüllt – mit Caribou natürlich. Bis es soweit ist schenken sich die Erwachsenen immer wieder etwas Wärmendes ins Glas.
Die Winter-Parade
Nach einem Mini-Feuerwerk beginnt der Umzug: Zum Auftakt stiefeln Clowns auf Stelzen und in farbenprächtigen Kostümen über die Straße und winken. Zu lauter Musik folgen roboterartige Figuren in Grau und Grün, Feuerschlucker mit bunten Masken, Salto-schlagende Akrobaten und überlebensgroße Marionetten.
Danach sieht man beleuchtete Umzugswagen aller Art: Eine riesige grüne Schildkröte ist darunter, ein Zauberwald mit knorrigen Bäumen, ein Krokodil mit bunten Fahnen oder überdimensionale Blumentöpfe mit künstlichen Orchideen. Der Umzug ist bunt, farbenfroh, dramatisch und lebenslustig, etwas kitschig vielleicht.
Willkommen im Eis-Palast
An der historischen Stadtmauer in der Altstadt tobt da schon längst die Party: Vor einem Eispalast aus dicken Blöcken tanzen Jugendliche wie Erwachsene eingemummelt in dicken Daunenjacken zu heißen Tunes. Das burg-ähnliche Gebäude wurde aus 6.500 glatt polierten Eisblöcken errichtet und wird nachts in bunten Farben angestrahlt.
Unweit der alten Festungsmauern haben Kinder ihren Spaß. Sie stürzen sich auf riesigen Eisrutschen nach unten, fahren Schlitten, spielen Fußball auf einem überdimensionalen Tischfußballfeld mit Eisfiguren, lassen sich von Schlittenhunden durch den Park ziehen oder rodeln mit riesigen Schlauchbooten und Reifen eine Eisbahn herunter.
Die Eiskanu-Fahrer sind derweil längst am Ziel. Nach knapp einer Dreiviertelstunde auf dem Fluss haben die Teams ihre Kanus mit letzter Kraft ins Ziel geschoben. Tausende Zuschauer hatten sie angefeuert und ihnen zugejubelt. Am nächsten Tag werden die Gewinner auf den Titelseiten der lokalen Zeitungen erscheinen. So macht der Winter Spaß!