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Ein Besuch in der ehemaligen Hauptstadt Kingston

Der Premier, sein Pub und ein Parlament, das nie gebaut wurde. Ein historischer Spaziergang durch die Altstadt von Kingston, der ersten Hauptstadt von Kanada.

Von Jörg Michel

Die Großmutter der kanadischen Hauptstädte

Die Hauptstadt von Kanada? Ottawa, ganz klar. Seit Königin Victoria 1867 die zweisprachige Stadt am Ottawa River zur Kapitale erklärte, tickt dort das politische Herz des Landes. Doch wusstet ihr, dass Kanada noch vier andere Hauptstädte hatte? Auch Montréal, Toronto und Québec City waren einmal Regierungssitz, außerdem, als allererste… Kingston!

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Kingston? Wer hätte das gedacht! Tatsächlich war das schmucke Hafenstädtchen an der Mündung von Ontario-See und Sankt-Lorenz-Strom von 1841 bis 1844 das politische Zentrum der vereinigten Kolonien von Kanada – dem Vorgängergebilde des heutigen Kanada. Kingston ist zugleich eine der ältesten Städte des Landes, höchste Zeit also, sich einmal umzusehen.

Stopp 1: King Street

Ich beginne meinen Spaziergang durch die Altstadt am Stadtpark an der King Street – und das aus gutem Grund. Denn hier thront auf einem wuchtigen Bronzedenkmal jener Mann, für den Kingston auch bekannt ist: Sir John A. Macdonald. In Kanada kennt ihn jeder, auch weil sein Portrait prominent auf dem Zehn-Dollar-Schein prangt.

Startpunkt unseres Spaziergangs: Die Einkaufsstraße King Street
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Macdonald war ein einflussreicher Politiker, wohnte in Kingston und war später der erste Premierminister von Kanada. Als Regierungschef hatte er die damals zerstrittenen anglo- und franko-kanadischen Landesteile geeint und seitdem gilt er als einer der Gründungsväter der Nation, als eine Art Otto von Bismarck oder George Washington von Kanada.

Stopp 2: Marktplatz und Rathaus

Ich schlendere über Kopfsteinpflaster, durch enge Gassen an alten Straßenlaternen vorbei. Die Wohnhäuser haben Fassaden aus Kalkstein, die Hinterhöfe sind gerade so breit, dass eine Pferdekutsche hineinpasst. Am Marktplatz und dem Rathaus mit seiner Renaissance-Kuppel halte ich inne: Hier haben Bauern, Handwerker und Künstler ihre bunten Stände aufgebaut.

Es ist fast wie einst. Denn genau an diesem Ort fand im Jahre 1780 der erste Bauernmarkt Kanadas statt – und nicht nur das. In Kingston wurde das erste große Gefängnis des Landes gebaut, die erste anglikanische Kirche eröffnet, die erste Zeitung gedruckt und eine der ältesten Universitäten gegründet. Bei so viel Geschichte wird einem schon fast schwindelig.

Eine der ältesten Universitäten des Landes
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Stopp 3: Bellevue House

Nach einem kurzen Fußweg erreiche ich das Bellevue House, eine im italienischen Stil gebaute Villa, die wirkt, als stünde sie in der Toskana. Hier hatte Macdonald einst als Anwalt gearbeitet, bevor er zum Politiker aufstieg. Heute steht das Gebäude unter Denkmalschutz und wird von der kanadischen Nationalparkbehörde als Freilichtmuseum betrieben.

Studenten in historischen Kostümen führen Besucher über das Anwesen. Zu sehen gibt es die Familienräume, das Arbeitszimmer, sogar den Gemüsegarten des prominenten Premiers. Dazu gibt’s ein paar Anekdoten… die eher nicht zur offiziellen Geschichtsschreibung passen. Denn Macdonald war ein echter Zechbruder und seine Saufgelage waren stadtbekannt.

Prächtige Villa in ruhiger Straße in Kingston
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Der Premier liebte die Kneipen, manche besaß er sogar selbst. In der Royal Tavern in der Princess Street hängen noch heute die Grundbuchauszüge aus jener Zeit. Im Public House, einem Pub in der King Street, befand sich einst sein Büro. Heute gibt’s dort das beste Starkbier der Stadt: Das „1840s Stout“ von Kings Town Brewing solltet ihr unbedingt probieren.

Aus der Traum

Ich steige in einen Trolley-Bus und schon geht’s weiter zum Krankenhaus. In dem großen Kalksteinbau am Rande der Altstadt tagten einst die ersten Abgeordneten Kanadas, weil es kein besseres Gebäude gab. Die Baupläne für ein neues Parlament lagen schon in der Schublade, doch bevor man beginnen konnte, war Kingston seinen Hauptstadt-Titel schon wieder los.

Der Bus dreht ein paar Runden, dann fährt er zu den militärischen Befestigungsanlagen der Stadt. Dazu gehört der Rideau Canal , der Kingston über 202 Kilometer mit Ottawa verbindet. Die Wasserstraße mit ihren vielen Schleusen sollte den Kanadiern im Falle eines Krieges einst als Nachschubroute dienen. Heute ist der Kanal ein Paradies für Segler und Bootsfahrer.

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Letzter Stopp: Fort Henry

Dann der letzte Stopp und zugleich der Höhepunkt von Kingston: Fort Henry. Die mächtige Bastion aus dem Jahre 1814 sollte einst die Amerikaner fernhalten und gehört wie der Rideau Canal zum Weltkulturerbe. Am Fahnenmast drinnen weht wie einst der britische Union-Jack, Kadetten in scharlachroten Uniformen und schwarzen Hosen proben den Drill.

Im Fort waren einst 400 Soldaten stationiert, heute haben Soldaten der Militärakademie das Kommando übernommen. Um Punkt zwölf Uhr ruft ein Offizier ein paar Befehle und ein Soldat stopft mit einer langen Latte Schießpulver in eine Kanone. Dann ein riesiger Knall. Die Mauern beben, die Holztüren wackeln und der Rauch steht hoch über dem Himmel von Kingston.

Das Fort Henry aus der Vogelperspektive
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