Die hier leben, haben keine Tischmanieren. Die Reste ihrer Mahlzeiten – Knochen in allen Größen, blitzblank genagt oder geleckt, von Bibern meist – liegen überall herum. Doch das Rendezvous mit den Cousins von Meister Isegrim ist nicht das einzige Highlight hier.
Text: Ole Helmhausen
Tolles Paddeln auf -zig Seen, episches Zelten und Marshmellows überm Lagerfeuer, Tom Thomson und die Group of Seven: Der Algonquin Provincial Park 285 Kilometer nördlich von Toronto ist eine kanadische Ikone, jeder kennt ihn. Dabei geht es noch viel besser. Und näher, denn bis zum Haliburton Forest & Wildlife Reserve sind es nicht mal drei.
Nur drei Autostunden von Toronto entfernt
Der Haliburton Forest grenzt südlich an den Algonquin Park und ist mit 324 Quadratkilometern der größte Wald in Privatbesitz in Ontario. 1963 kaufte ihn der deutsche Forstwirt Adolf Schleifenbaum von der Holzindustrie. Die hatte ihn während der letzten 100 Jahre in eine Mondlandschaft verwandelt.
Später vererbte Adolf ihn an seinen Sohn. Peter Schleifenbaum, studierter Forstwissenschaftler, betreibt den Haliburton Forest seitdem als ein »Multiple-Use-Reservat«: Holzwirtschaft wird weiterhin betrieben, allerdings mit dem Ziel, einen gesunden Wald zu schaffen. Mit Erfolg: Seit 1998 verleiht der kanadische Forest Stewardship Council Haliburton die Zertifizierung als nachhaltiger Wald jedes Jahr aufs neue.
Nur ein Wald? Nein, ein Abenteuerspielplatz!
Holzwirtschaft ist jedoch nicht der einzige Geschäftszweig im gesundenden Haliburton Forest. Der Wald bietet darüber hinaus 300 Campingstellen an 17 der insgesamt 100 Seen im Naturreservat, rund 300 Kilometer Mountainbiking Pfade, Möglichkeiten zum Angeln und Fischen, ein ausgedehntes Netz an Wanderwegen, Kanurouten sowie im Winter Skilanglauf, Snowmobiling und Hundeschlittenfahrten.
Und wer nicht zelten mag, übernachtet in rustikalen Hütten, die einst zu einem alten Holzfällercamp gehörten und heute mit Kitchenette, Bad, Wohn- und Schlafzimmer ausgestattet sind. Mit zum Camp gehört das Cookhouse Restaurant, ein einfaches Restaurant mit Burger, Lamb Stew und Steaks auf der Speisenkarte. Heute ist das Camp vom Wald wieder förmlich eingemauert. Die Chancen, nach dem Dinner Schwarzbären zu sehen, stehen gut.
Ökologie genauer beobachten
Doch ein Besuch im Haliburton Forest & Wildlife Reserve soll vor allem vermitteln, dass Ökologie und Forstwirtschaft durchaus koexistieren können. Auf geführten Touren hört man beispielsweise, dass das vielerorts in Kanada praktizierte selektive Holzfällen im Endeffekt schädlich ist, da der vielfältige boreale Wald dadurch nicht nachwachsen könne.
Dass in diesem Wald fünf neue Wespenarten entdeckt worden seien und Wissenschaftler hier die Bedeutung von Insekten, Amphibien und Säugetieren wie Bibern und Bären für den Wald erforschen.
Der mit dem Wolf tanzt
Und dass die in den Wäldern ringsum lebenden Wölfe keine blutrünstigen Killer sind, sondern soziale Tiere mit besonders stark ausgeprägtem Familiensinn. Im weitläufigen Wolf Centre des Reserve wird deshalb ein 10-köpfiges Wolfsrudel gehalten. Es ist wild, niemand hat zum Gehege Zutritt, auch nicht während der unregelmäßig stattfindenden Fütterungen, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden.
Die schönen Tiere und die Dynamik im Rudel beobachten und fotografieren kann man von der sogenannten Observation Lounge aus. Das kleine Gebäude ist gut isoliert, da die Tiere keinen Lärm mögen. Auch hier erklären Guides, wie Wald, Wolfe und andere Tiere miteinander zusammenhängen. Nachts mit den Wölfen heulen geht auch.
Hoch hinaus
Ebenso wie diesen schönen, aus Fichten, Kiefern, Lärchen, Birken und Espen bestehenden Wald aus der Eichhörnchenperspektive zu erleben. Die Baumwipfelspaziergänge bis zu 20 Meter über dem Waldboden sind herrlich, insbesondere im Herbst, wenn der Wald in den Farben des Indian Summers erstrahlt. Und so hoch oben ist es wohl die schönste Art, dem für diesen Teil Kanada typischen Wald etwas näher zu kommen.